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Leben

„An Altersschwäche zu sterben ist ein seltener, geradezu außergewöhnlicher Tod – und daher weniger natürlich als die anderen: Es ist die letzte und äußerste Art des Sterbens. In je weiterer Ferne sie liegt, desto weniger können wir sie erhoffen." Dies schrieb im Jahr 1580 der Politiker und Philosoph Michel de Montaigne in seinen berühmten Essais über das Alter.

In einer Epoche gewaltsamer Religionskriege, mangelnder Hygiene und medizinischer Versorgung hatte man mit 35 Jahren bereits die Hälfte seiner Mitmenschen überlebt und konnte sich zu Recht einen alten Menschen nennen.

Ein im Jahr 2011 in Österreich geborener Junge kann nach Berechnungen der Statistik Austria mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 75 Jahren und 8 Monaten rechnen. Die entsprechende Zahl für heuer zur Welt gekommene Mädchen lautet 81 Jahre und 6 Monate. Und Altersschwäche ist in der modernen Medizin keine finale Todesursache mehr.

Neben der für das Individuum eigentlich bedeutungslosen, für eine bestimmte menschliche Population errechneten durchschnittlichen Lebenserwartung steht die maximal erreichbare Lebensspanne. Der bislang älteste Mensch, dessen Chronologie zweifelsfrei dokumentiert ist, war die Südfranzösin Jeanne Calment, die 122 Jahre und 164 Tage gelebt hat. Es haben im Lauf der Geschichte zwar zahlreiche Menschen behauptet, ein außergewöhnlich hohes Alter erreicht zu haben, ohne dass diese Angaben von seriösen Gerontologen verifiziert werden konnten. Interessant und auffallend ist dabei jedoch, dass über die Jahrhunderte hinweg ein Maximalalter von ca. 120 Jahren möglich war.

Mit den wissenschaftlichen Fortschritten in Genetik und Medizin steht die Erwartung im Raum, dass bald der Schlüssel zu lebensverlängernden Behandlungen, wenn nicht gar zu unbegrenzter Lebensdauer gefunden sein wird. Doch so einfach ist die Sache nicht, denn bereits auf die am Anfang jeder diesbezüglichen Forschungsarbeit stehende Frage nach der Definition des Alterns gibt es keine allgemein akzeptierte Antwort. Fasst man den Begriff sehr weit und sieht jede im Laufe des Lebens eines Organismus stattfindende Veränderung als Altern an, dann zählen sowohl die Reifungsprozesse der Kindheit als auch degenerative Erscheinungen bei alten Erwachsenen dazu. Überspitzt gesagt beginnt demnach mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle der Tod eines Organismus.

Andere Forscher definieren das Altern nur über den Funktionsverlust von Organen und unterscheiden die Vergreisung (Seneszenz) vom Erwachsenwerden (Adoleszenz).

Eine zurzeit die verschiedenen Aspekte der Diskussion in sich versammelnde Erklärung wirft ein bezeichnendes Bild auf das mechanistische Verständnis menschlicher Existenz: Altern wird durch ein kontinuierliches Ansammeln von somatischen Schäden hervorgerufen, die eine Folge einer begrenzten Investition des Körpers in seine Wartung und Reparatur sind. Reparaturmechanismen, wie beispielsweise DNA-Reparatur und die Bekämpfung von oxidativem Stress, werden von Genen kontrolliert, die dadurch Einfluss auf die Langlebigkeit und das Altern des Organismus haben.

Max Bürger, deutscher Mediziner und Begründer der Gerontologie, der Wissenschaft vom Altern, hatte erstmals festgehalten, dass Altern das Ende der Entwicklung eines Lebewesens einleitet, ohne dass zu sagen wäre, wann dieser Prozess genau beginnt. Bürger führte auf den Menschen bezogen den Begriff der Biomorphose ein: „Diese lebenslang dauernden Wandlungen, denen der menschliche Körper, sein Geist und seine Seele unterliegen, habe ich Biomorphose genannt."

Und genauso unklar wie die Definition des Altersbegriffs ist, so schwer lassen sich die komplexen Ursachen des Alterns benennen. 1990 gab es dazu bereits etwa 300 verschiedene Theorien, von denen jedoch keine allein die vielschichtigen Vorgänge während der Seneszenz eines Organismus erklären kann. Der Vergleich zweier äußerlich sehr unterschiedlicher Lebewesen wie Hausmaus und Grönlandwal macht dies sichtbar: Der Aufbau der Körperzellen, den elementaren Bausteinen beider Spezies, ist trotz gewaltiger Größenunterschiede weitgehend gleich. Auch bei den daraus aufgebauten Organen und Geweben bestehen funktionell gesehen kaum Unterschiede. Und auch die Gene zeigen in ihrer Gesamtheit eine sehr hohe Ähnlichkeit. Dennoch beträgt die Lebenserwartung bei der Hausmaus maximal zwei bis drei Jahre, während Grönlandwale deutlich über 100 Jahre alt werden können. Es drängt sich bei erster Betrachtung ein Zusammenhang zwischen Körpergröße und maximaler Lebensspanne auf, denn je größer die Tierart, desto länger scheint sie zu leben. Indirekt proportional dazu verhält sich die Körpergröße zur Stoffwechselrate, dem gesamten Energieumsatz des Organismus. Multipliziert man diese Stoffwechselrate mit dem maximalen Lebensalter, ergibt sich für fast alle Säugetiere die gleiche Kennzahl von etwa 220 Kilokalorien pro Gramm. Kleine Säugetiere müssen mehr ‚heizen', da ihr Körper verhältnismäßig mehr Oberfläche im Vergleich zum gesamten Volumen zeigt und die Wärmeverluste größer sind.

Dieser erhöhte Verbrauch an ‚Lebensenergie' zeigt sich auch im Rhythmus des Herzschlags. Mäuseherzen schlagen in Ruhe 500 Mal pro Minute, Rinder ziehen ihr Herz nur mehr 50 Mal in der Minute zusammen, während große Wale lediglich 15 Herzschläge im selben Zeitraum aufweisen.

Rechnet man diese Frequenzen auf die maximale Lebensdauer hoch, dann ergeben sich in vielen Fällen verblüffend konstante Gesamtbilanzen von 800 Millionen Herzschlägen bis zum Tod. Doch dieser zwar sehr anschauliche Zusammenhang zeigt viele Ausnahmen. Zum Glück, denn Menschen würden demnach höchstens 40 bis 50 Jahre alt werden können.

EndeBetrachtet man die gängigen Theorien zur Seneszenz, dann sind zwei Hauptgruppen erkennbar. Manche Studien versuchen, Alterungsprozesse unter dem Blickwinkel der Evolutionstheorie zu verstehen. Es steht der mechanistische Aspekt des Verschleißes von Körperteilen im Vordergrund.

Zu den populärsten und in der Bevölkerung am weitesten verbreiteten Theorien über das Altern gehören die Schadenstheorien. Wie ein altes Auto würden demnach Organismen durch eine Summe von Abnutzungserscheinungen und Anreicherung von schädlichen Nebenprodukten des Stoffwechsels altern. Vor allem auch Oxidationsprozesse durch sogenannte freie Radikale (Moleküle mit freien Bindungen) würden im Körper zerstörerisch wirken und Krankheiten wie Krebs, Arteriosklerose und Diabetes verursachen. Die Pharmaindustrie hat darauf mit einer Vielzahl von Produkten, den Antioxidantien, reagiert. Doch die Euphorie über die Wirksamkeit solcher Stoffe außerhalb des Labors hat sich mittlerweile gelegt.

Als beschreibende Theorien bieten die Schadenstheorien zwar einen Erklärungsansatz für die Prozesse beim Altern, aber keine Antwort darauf, warum Organismen überhaupt altern.

Dieser zentralen Frage gehen Biologen nach, die das Altern als Ergebnis unserer Evolutionsgeschichte sehen. Demnach wären die ersten Lebewesen nicht gealtert, sondern diese ‚Fähigkeit' erst als Eigenschaft höherer Lebewesen entstanden.

Der deutsche Biologe August Weismann sah im Altern und im Sterben eine Notwendigkeit, damit die Vorläufergenerationen nicht mit ihren Nachkommen um Nahrung und Lebensraum konkurrieren müssen. Die Alten würden Platz für die nächste Generation machen, die durch Mutation und Rekombination ihrer Gene bei der Paarung möglicherweise besser an die Umwelt angepasst wäre.

Eine andere Theorie besagt, dass einige Gene in jungen Jahren vorteilhaft, im Alter aber eher schädlich sind. Da die schädlichen Wirkungen dieser Gene erst nach dem Ende der Fortpflanzungsphase auftreten, haben sie nur eine geringe evolutionäre Auswirkung. Schädliche Mutationen, die erst im Alter ihre Wirkung zeigen, könnten sich daher im Genom eines Organismus beliebig anhäufen. Dieselbe Logik ist auch der Grund dafür, warum sich Langlebigkeitsgene nicht so leicht verbreiten. Nur wenn Männer und Frauen bis ans Ende ihres langen Lebens fortpflanzungsfähig blieben, könnten sich diese Eigenschaften durch eine größere Zahl an Nachkommen im Genpool auswirken.

Der Wunsch nach ewigem Leben ist so alt wie die menschliche Zivilisation. Die Erkenntnisse der Gentechnik nähren die Hoffnung, dass wir einmal über unser Alter beliebig bestimmen können. Ob jedoch tatsächlich Hoffnung darin steckt, bleibt fraglich. Jugend und Alter sind bei Menschen auch immer mit psychischen und spirituellen Entwicklungen verbunden. Ob man mit der Seele eines 250-Jährigen im Körper eines 20-Jährigen leben möchte, sei dahingestellt.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 78: „Der Spirit der Alten"

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Peter Iwaniewicz ist Biologe und Journalist. Er unterrichtet an der Universität Wien Wissen-schaftskommunikation und ist Autor zahlreicher Bücher.

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Dr. Peter Iwaniewicz

Dr. Peter Iwaniewicz

Peter Iwaniewicz ist Biologe, Journalist und Kulturökologe. Er unterrichtet an der Universität Wien Wissenschaftskommunikation und ist Autor zahlreicher Bücher.
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