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...weiß, was ich leide“, schreibt der Geheimrat in seinem Gedicht „Mignon“. Bei einem Wochenende voller Enneagramm-atikalischer Erkenntnisse erfahre ich: Die Sehnsucht ist mir systemimmanent. Doch wie damit umgehen?

Nicht dass es sich dabei um eine völlig überraschende Neuigkeit gehandelt hätte – mein Fernweh zum Beispiel ist ein ziemlich ausgeprägter Ausdruck dieser Sehnsucht. Wenn ich an meinen Herkunftsort denke, an den es doch eine erkleckliche Anzahl von Touristen zieht, komme ich aus dem Wundern nicht heraus, was die dort wohl schön finden könnten. Und wenn ich mich durch die sommerlichen Gassen meinen aktuellen Wohnortes schieben muss, grummle ich innerlich den Satz „Was wollt ihr nur alle hier?“ vor mich hin. Früher galt meine geographische Sehnsucht großen Stätten wie London, Paris, Hongkong. Und dem Meer. Inzwischen ist nur mehr das Meer übrig geblieben. Der Beginn meines Jahresurlaubs in Dar Es Salaam hätte beides verbinden können, aber es sollte (damals) nicht sein. Doch ich weiß auch: Irgendwann einmal werden mir die Küsten ausgehen – in Afrika ist das ohnehin so eine Sache, wenn man alleine als Frau unterwegs ist. Aber das überlege ich mir dann, wenn es soweit ist. Oder wie andere sagen und um im Bild zu bleiben: „I cross the bridge when I reach it.“

Spaziere ich am Strand entlang und höre noch dazu Yo-Yo Mas Version der „La Califfa“-Suite von Ennio Morricone, ist mein Sehnsuchtsglück nahezu perfekt. Da bin ich innerlich weit wie das vor mir liegende Meer und das Lächeln kann mir in solchen Augenblicken nur ausgesprochene Unverschämtheit aus dem Gesicht prügeln. Da brauche ich sonst nichts – naja, vielleicht eine Zigarette, aber that's it. Deshalb wird es früher oder später wohl unumgänglich sein, an eine Küste zu ziehen. Temporär oder für immer, das wird sich weisen.

Doch es ist mit dieser Sehnsucht natürlich nicht immer alles so rosarot. Wenn man sich beispielsweise nach zehn perfekten Momenten verzehrt, die unwiederbringlich entschwunden sind. Die Realisten werden nun sagen: „No na, liegt ja schließlich in der Vergangenheit.“ Schon klar, aber wenn auch die Aussicht, einen weiteren dieser perfekten Momente noch einmal zu erleben, gegen Null strebt, schaut man mit seiner Sehnsucht ganz schön alt aus. Hände weg von Handspiegeln in solchen Momenten! Da hilft auch kein Anfall von Selbsterkenntnis, dass man sein Scherflein dazu beigetragen hat, einen dieser weiteren Momente zu versemmeln. Die Sehnsucht ist meinungsstabil wie die Inhaberin und bleibt.

Hängt das eine mit dem anderen zusammen? Mir scheint fast, dass mit dem Mangel an gelebtem Fernweh die malvige Seite der Sehnsucht exponentiell ansteigt. Fast, als hätte ich eine Yin-Yang-Sehnsucht, die manchmal aus der Balance gerät. Stecke ich zu lange an einem Ort fest, öffnen sich die Knospen der Malve in Windeseile. Bin ich unterwegs, lässt sie sich Zeit. Zwar besucht sie mich auch dann hin und wieder, aber das Meer nimmt sie meist mit sich. Ich winke ihr nach und wünsche ihr eine gute Reise.

Wieder zuhause, wartet Yo-Yo Ma auf mich, und wenn ich nicht aufpasse, schwingt sich mein Grundton wieder auf die malvige Sehnsucht ein. Und das mit Bergen statt Meer vor Augen ist absolut ungesund für mich. Mein Haus freut sich. Denn gegen die malvige Sehnsucht hilft nichts besser als putzen. Oder kochen. Oder garteln. Schön, dass das Frühjahr langsam Einzug hält. Aus einem der Töpfe wird dann bestimmt wieder eine Malve wachsen. Und im August in voller Blüte stehen. An der Nordsee soll es zu dieser Jahreszeit ja auch sehr schön sein.

Claudia Dabringer

Claudia Dabringer

Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg mit allem, was zu einer Studentenzeit dazugehört. Mehrjährige Konzentration aufs Radiomachen, bis alles durchexerziert war und das Schreiben wieder im Kopf präsent wurde. Seitdem freie Journalistin und als Fachtrainerin & Schreibpädagogin...
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