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Was genau verstehen wir unter Frieden? Ist Frieden einfach das Gegenteil von Krieg? Eine Annäherung.


Darauf, dass Frieden erstrebenswert ist, können sich wohl die meisten Menschen einigen. Was Frieden bedeutet, lässt sich hingegen schwerer fassen.

Frieden hat viele Bedeutungen und beinhaltet mehrere Ebenen. Zu den wichtigsten gehören die politische, die gesellschaftliche und die persönliche Ebene. In diesem Artikel soll es vor allem um die politische Ebene gehen, wohl wissend, dass eine scharfe Trennung unmöglich und vielleicht auch gar nicht wünschenswert ist. Eine gängige Definition von Frieden stammt von Johan Galtung, dem Begründer der Friedens- und Konfliktforschung, aus dem Jahr 1969. Er unterscheidet zwischen negativem Frieden, der als die Abwesenheit von direkter, physischer Gewalt definiert wird, und positivem Frieden als Abwesenheit von struktureller, indirekter Gewalt, also wenn Menschen aufgrund von institutionellen oder sozialen Strukturen die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse verwehrt wird und sie somit Schaden erleiden beziehungsweise sich nicht voll entfalten können.
Interessanterweise gibt es im akademischen Diskurs mehr Forschungsliteratur zu den Ursachen von Krieg als zu den Bedingungen des Friedens. Das lässt vermuten, dass die ‚negative‘ Definition von Frieden – nämlich die Absenz von direkter, physischer Gewalt bis hin zu Kampfhandlungen – eine nach wie vor relevante und verbreitete Definition von Frieden darstellt.

In den vielen Kulturen der Welt dominiert jedoch die Meinung, dass Frieden mehr als die Absenz von Krieg und Gewalt ist. Meistens wird Krieg als Gewalt zwischen Staaten oder politischen Gemeinschaften verstanden, aber der Begriff ‚Krieg‘ kann auch gewalttätige Konflikte zwischen einzelnen Personen beschreiben.

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Wenn nun Frieden lediglich negativ definiert würde, könnte man daraus schließen, dass er nur eine Reaktion auf Krieg oder Gewalt ist beziehungsweise von diesen abhängt und nur in Relation zu diesen besteht. Außerdem ist dieser Zugang unzulänglich, solange nicht eindeutig ist, was unter Krieg zu verstehen ist.
Die positive Definition von Frieden basiert laut Galtung auf sozialer Gerechtigkeit in einem System, das auf Kooperation, Respekt, Solidarität und Befriedigung der Bedürfnisse aller aufbaut. Solch positiver Frieden hat auch eine ausgeprägte persönliche Dimension, die auf eine spirituelle Transformation hindeutet oder abzielt. Wie es der Dalai Lama in seinem ‚Buch der Menschlichkeit: Eine neue Ethik für unsere Zeit‘ formuliert, ist dieser Frieden ein Zustand der Ruhe, der auf dem tief empfundenen Gefühl von Sicherheit aufbaut. Diese Sicherheit basiert auf gegenseitigem Verständnis, Toleranz gegenüber der Meinung anderer und Respekt vor ihren Rechten.

Wie kann Frieden erreicht werden? Johan Galtung hat dafür den Begriff ‚Peacebuilding‘ gefunden. Für ihn beinhaltet der Friedensaufbau eine strukturelle Transformation der Gesellschaft, die die persönliche und gesellschaftspolitische Ebene umfasst, um letztendlich tragfähige Friedensstrukturen zu schaffen.
In der heutigen Praxis, zum Beispiel der Vereinten Nationen, stehen primär die staatlichen Strukturen im Mittelpunkt der Friedensförderung und nicht, wie von Galtung vorgeschlagen, die persönliche und gesellschaftliche Transformation.

Die Maßnahmen, die von den Vereinten Nationen und der Staatengemeinschaft seit dem Ende des Kalten Krieges getroffen wurden, um den Frieden zu fördern und zu festigen, zielen nicht nur darauf ab, einen Rückfall in bewaffnete Konflikte zu verhindern, sondern beinhalten auch Interventionen zur Konfliktprävention. Das reicht von Demilitarisierung und Leichtwaffenkontrolle bis zur Reform von Militär, Polizei und Rechtssystemen, der Kontrolle der Einhaltung von Menschenrechten und Wahlbeobachtung, von humanitärer und Flüchtlingshilfe bis hin zu sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung und Ernährungssicherheit. Diese Maßnahmen zielen darauf ab, ein neues Fundament – vorwiegend in staatlichen Strukturen – für Frieden zu schaffen und sie bieten Möglichkeiten, mehr als nur die Abwesenheit von Gewalt zu erreichen.
Für das Department for Peacekeeping Operations (Hauptabteilung für Friedenssicherungseinsätze) der Vereinten Nationen ist Peacebuilding „ein komplexer und langfristiger Prozess, der umfassend auf die tief liegenden strukturellen Ursachen eines Konfliktes einwirkt und die notwendigen Bedingungen für positiven und nachhaltigen Frieden schafft. Peacebuilding-Instrumente sprechen die Ursachen eines Konfliktes an, die das Funktionieren von Staat und Gesellschaft beeinträchtigen. Deswegen sollen die Kapazitäten des Staates gefördert werden, so dass dieser seine Aufgaben rechtmäßig und effektiv erfüllen kann.“

Da es aber keine Einigkeit über die Charakteristika des positiven Friedens gibt, stellt sich die Frage, wie positiver Frieden idealtypisch aussehen könnte und welche Werte ihm zugrunde gelegt werden sollen. Als ein gemeinsamer Nenner des Peacebuildings der Vereinten Nationen lässt sich der sogenannte liberale Frieden ausmachen, der die sozioökonomische und die politische Ordnung des Gemeinwesens fokussiert.
Der liberale Frieden stellt Demokratie und Marktwirtschaft über andere Formen der Gesellschafts- und Wirtschaftsorganisation und rückt dabei militärische Sicherheit, Staatsterritorium, staatliche Souveränität, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und eine neoliberale Wirtschaftsentwicklung in den Vordergrund. Dabei geraten andere Kernanliegen von positivem Frieden, wie zum Beispiel soziale Gerechtigkeit, zuweilen in den Hintergrund.
Immer mehr Friedensforscher stellen deswegen die kritische Frage, ob liberales Peacebuilding wirklich zu dauerhaftem positivem Frieden führen kann – oder nur mächtigen Staaten dazu dient, ihren Einfluss zu erweitern, die Verbreitung ihrer Werte und Normen zu sichern und im Grunde genommen eine Fortführung des Kolonialismus mit anderen Mitteln oder unter einem anderen Deckmantel bedeutet.
Nimmt man diese Einwände ernst, müsste an erster Stelle eine Kritik der freien Marktwirtschaft beziehungsweise des herrschenden Handelssystems stehen, weil es den Mangel an Verteilungsgerechtigkeit innerhalb von Nationen, aber auch zwischen armen und reichen Nationen nicht beseitigt, sondern noch verstärkt. Diese Unterschiede in Wohlstand und Sicherheit liegen vielen Konflikten und Spannungen zugrunde. Darüber hinaus wäre ein weltweites ökologisches Umdenken vonnöten, damit Kriege um Ressourcen und Konflikte aufgrund von Klimaveränderungen verhindert werden.

Aus alledem folgt, dass die Ursachen von gewaltigen Konflikten und Kriegen nicht ausschließlich mit militärischen Mitteln zu bekämpfen sind, sondern auch politische und zivile Maßnahmen erfordern, die auf die Beseitigung der wirtschaftlichen und ökologischen Ungleichgewichte abzielen. Diese Maßnahmen müssen das Ideal der Gerechtigkeit und individuellen Sicherheit im Zentrum haben.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 95: „Keine Angst"

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Dr. Blanka Bellak ist seit Mai 2014 Direktorin des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktforschung in Schlaining. Sie beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit Krisenmanagement und war in zahlreichen Konfliktgebieten in der humanitären Hilfe und als Entwicklungsexpertin tätig.

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